Irish Blues – Interview mit K.J. Sartor

Lieber Herr Sartor, stellen Sie sich doch erst einmal vor.

So spät auch mein erster Roman erscheint, so früh hat mich alles Musische berührt. An das Schulklavier, an dem ich als Sechsjähriger zu üben begann, erinnere ich mich zärtlich, auch an die Schulbibliothek, die zugleich als Leihbibliothek des Dorfes fungierte. Klavier wie Bücher waren nur einen Geländer-Rutsch entfernt. Mein Vater war damals Lehrer an einer »Zwergschule« im Bergischen Land, wir lebten über den beiden Klassenräumen. Farbstifte, Wasserfarben, Pinsel und Papier waren auch nicht weit weg, wurden jedenfalls irgendwie besorgt. Dabei war der Zweite Weltkrieg gerade erst vorbei, die Musen hatten es noch schwer. Andererseits: Was geschieht mit Kindern, wenn sie, wie ich, mit Hilfe von Fibeln lesen lernen, die vom Lehrpersonal gebunden, liniert, beschrieben und bunt bemalt worden sind?

Zum Abitur hin entstanden satirische Gedichte, kurz nach dem Studium noch eine Novelle, auch eine Reihe von Gemälden, die man nicht verstecken muss. Unter dem steigenden Druck des Berufs fristete die Kunst danach lange ein dürftiges Dasein. Bis um die Jahrtausendwende – nach acht Jahren in den USA und einigem Erfolg als Leiter einer neuromedizinischen Abteilung am Uniklinikum Heidelberg – die musische Seite von mir erneut ihr Recht einzufordern begann.

Seit über fünfzehn Jahren (nach dem Ausscheiden aus dem akademischen Amt) steht nun literarisches Schreiben, verbunden mit Reisen, im Vordergrund. Ans Klavier setze ich mich indes noch fast täglich, und ab und an entsteht auch ein Bild oder eine Skulptur. Großformatige Fotobücher, Frucht der Reisen, kurbeln beim Schreiben die Erinnerung an. Geerdet werde ich von meiner Frau, mit der ich seit 52 Jahren verheiratet ist. Welcher der beiden Wohnorte, Lübeck oder Hamburg, der schönere ist, kann ich nach wie vor nicht sagen.

Im Juni ist Ihr Roman “Irish Blues oder Das ferne Kind” im Rote Katze Verlag erschienen. Wie kam dieser Roman zustande?

Warum ein Roman entsteht, hat selten einen einzigen, leicht bestimmbaren Grund. Genauer lässt sich zumeist sagen, wann die Entscheidung fiel, das Werk ins Auge zu fassen. Bisweilen braucht es lange, unter Umständen Jahre, bis eine »herumliegende« Idee so zündet, dass Literaten alle anderen Schreibvorhaben vergessen und sich der neuen – eigentlich alten – Idee mit dem Vorsatz zuwenden, etwas »Größeres« daraus zu machen.

Die Idee zu »Irish Blues oder Das ferne Kind« hatte ich etwa acht Jahre vor der Niederschrift des Romans, nach einem Aufenthalt in Irland, meinem Lieblingsreiseland. Es entstand ein Entwurf. Was die Angelegenheit mit der »Bechermethode« betrifft: Sie wurde getriggert von einer Geschichte im Bekanntenkreis, in der es aber nicht den Konflikt gab, der für den Roman bestimmend wurde. Was mich literarisch daran interessierte, war, wie sich ein fiktives Paar – sie Lehrerin, er Astronom – angesichts derart komplizierter Umstände verhielte, und wie sich ihr Dilemma in der Geschichte Irlands, ja sogar der des Universums spiegeln ließe …

Den Roman mit-inspiriert hatte das 2009 erschienene Buch von Timothy Knatchbull, der – anders als sein Zwillingsbruder Nicholas – das Mountbatten-Attentat überlebte. Dieses Werk hat mich auf Umstände und Einzelheiten gestoßen, die ich teils nicht kannte, teils in mir barg. So hat mich von jeher das Zwillings- und das Doppelgänger-Thema interessiert, und es hat mich auch stets tief berührt, wenn ich im privaten Umfeld erfuhr (was leider mehrmals geschah), dass ein Paar ein Kind verlor. Das Thema der romantischen Beziehung zu zwei oder mehr Menschen gleichzeitig hat mich gleichfalls fasziniert, ebenso die uralte irische Freiheitsidee.

»Das ferne Kind« war der Titel des Entwurfs. »Irish Blues« kam erst dazu, als sich die innere Beziehung von mir zu meinen Romanfiguren – zunächst zum Protagonisten, dann auch zu den beiden jungen Frauen, den Ersatzeltern, dem neuen irischen Freund sowie Irland als Ganzem – auf elegische Weise zu entwickeln begann.

Von Anfang an beabsichtigte ich indes, eine angenehm zu lesende Geschichte zu schreiben, die Leserinnen wie Leser »so ab Mitte zwanzig« als unterhaltsam, berührend und – allem dargestellten Schmerz zum Trotz – humorvoll finden würden. Und weil ich praktisch im Schulhaus aufgewachsen ist, hoffte ich verständlicherweise auch, dass meine Story lehrreich sein würde.

Irland gilt für viele als Sehnsuchtsland. Wie kam es zur Wahl dieses Schauplatzes?

Der Roman spielt im Irland des Jahres 2013, hauptsächlich im stillen, rauen, landschaftlich vielerorts spektakulär schönen Nordwesten der Republik. Bis dahin hatte ich die Grüne Insel hauptsächlich mit den Augen des Romantikers gesehen.

Die Beschäftigung mit der Beziehung zwischen »Irish« und »English«, ausgelöst durch das Buch eines Überlebenden des Mountbatten-Attentats, weitete meinen Blick und führte, im Verein mit anderen Gedanken, zum ersten Romankonzept. Mitgewirkt hat dabei die Erkenntnis, wie verwoben das Habsburgische Spanien mit dem gälischen Irland war.

Es folgten weitere Reisen auf die Insel, die ja tatsächlich vielen Deutschen als Sehnsuchtsort gilt. Die Idee, sich mit einem Ferienhaus dort anzusiedeln, hatten ich und meine Frau Jahre zuvor aufgeben. Umso wichtiger wurde es dann wohl, das fiktive Fuchsia House zu erschaffen. Das dann dort entstand, wo die Handlung hauptsächlich spielten sollte: nahe den Orten des Attentats und des Armada-Desasters, nahe dem Benbulben, dem grandiosen Tafelberg, und nahe der emotionalen Heimat von William Butler Yeats.

Ein Blick zurück, in die vierte Auflage von Meyers Konversationslexikon, ließ mich schließlich erfassen, wie treffend (aber auch wie überheblich!) die Iren zu Zeiten von Kaiser Wilhelm II. und Queen Victoria gesehen worden waren:

»Der Charakter der echten Iren ist ein höchst eigentümliches Gemisch von allerlei einander großenteils widersprechenden Eigenschaften, unter denen manche der schlechten freilich durch die ungünstigen Verhältnisse, in denen sich dieses Volk seit langer Zeit befindet, stärker entwickelt sind. Ein beweglicher, leichter Sinn bildet die Grundlage des irischen Charakters, und derselbe zeigt fast alle Tugenden, die mit solchem vereinbar sind, während seine Fehler meist in entsprechendem Mangel an Besonnenheit, Ausdauer und Selbstbeherrschung beruhen. Dichterische Begabung, Kunstsinn, Liebe zur Musik und Beredsamkeit lassen sich dem Irländer nicht absprechen. Er ist wißbegierig, schlau, scharfsinnig und witzig, obschon er aus List gern den Anschein von Stumpfheit und Einfalt annimmt. … Reizbar, zur Rauferei und zu Gewaltthätigkeiten geneigt, liebt er auch laute Lustbarkeit. Gastfrei und verschwenderisch, vergißt er der Zukunft.«

Daraufhin schloss ich endgültig auch die echten Irinnen in mein Literatenherz.

Haben Sie ein Lieblingszitat aus Ihrem Roman?

Anders als in Oscar Wildes einzigem Roman, »Das Bildnis des Dorian Gray«, wimmelt es in »Irish Blues oder Das ferne Kind« nicht von Sätzen, die sich, isoliert, als kluge, witzige oder gar flotte Sprüche eigneten. Müsste ich dennoch einen auswählen, nähme ich folgenden:

Über den eigenen Schatten zu springen, ist eine der schwierigsten Erwachsenensportarten, die es gibt.

Warum ich gerade diesen Satz aus meinem Roman herausgreifen würde? Nun, er enthält die Essenz vieler Konflikte, angefangen bei denen zwischen zwei Menschen, dann denen zwischen Gruppen, schließlich denen zwischen Nationen, ja ganzen Machtblöcken: Immer geht es letztlich darum (wenn es nicht zum »Abbruch der Beziehungen«, gar Krieg kommen soll), dass sich jemand – sei’s im Singular oder Pural – »bewegt«, notfalls einseitig, und über das Trennende neu, also anders als bisher, nachzudenken beginnt.

Etwa: Könnte ich mich verrannt haben, folglich derjenige auf dem Holzweg sein? War ich vielleicht zu dominant oder in der Wortwahl zu grob, im Tonfall zu laut? Enthält das, was mein Gegenüber ausgedrückt hat, vielleicht doch etwas, das ich nicht bedacht oder, aus welchen Gründen immer, ausgeblendet habe? Liegt das Verbohrte, Rechthaberische nur außerhalb von mir? Ist ein Sieg tatsächlich so erstrebenswert, und müsste beiderseitiger Kompromissbereitschaft unbedingt eine win-win-Regelung der fifty-fifty-Sorte nach sich ziehen? Darf’s unter Umständen einseitig auch weniger als 50% sein? Und was ließe sich vernünftigerweise tun, um Dampf aus dem Kessel zu nehmen?

Diese Fragenliste ließe sich fortsetzen, doch entscheidend ist, dass das mentale Patt, das Beharren auf der eigenen Position, aufgebrochen und durch eine Haltung ersetzt wird, die am Ende des Tunnels das Licht erkennt – und nicht eine weitere Lokomotive.

»Irish Blues oder Das ferne Kind« mit seinen historischen und astrophysikalischen Reflexionen wurde daher auch in der Hoffnung geschrieben, dass es selbst für große Konflikte eine Lösung gibt, sofern sich alle Beteiligten ein Stück weit zurücknehmen und bedenken, wie zentral für uns Liebe und Verständnis sind – und wie kurz wir alle auf diesem winzigen Planeten verweilen.

Wer sollte Ihren Roman lesen und warum?

Gefragt, wer meinen Roman »Irish Blues oder Das ferne Kind« lesen sollte und warum, möchte ich eigentlich nur antworten: Alle, die lesen können, denn es ist ein verdammt gutes Buch. Aber das wäre vermessen, und mir ist auch klar, dass die Kids nicht zu etwas greifen werden, das mit Fantasy soviel zu tun hat wie das Einhorn mit dem Schaf. Um also auf dem Teppich zu bleiben: Mit Blick auf meine Lesekundschaft denke ich an Menschen »so ab fünfundzwanzig«, genauer gesagt: vor allem an Frauen.

Oje, jetzt habe ich die männlichen Schöngeister »so ab fünfundzwanzig« vergrätzt –Männer, die es abends mehr nach der Lektüre von Romanen gelüstet als nach der von Sach- und Fachliteratur. Deshalb hier nochmal explizit: An die denke ich freilich auch!

Und warum sollten Frauen und belletristisch geneigte Männer meinen Roman lesen? Nun, weil sie darin etwas finden werden, was sie wahrscheinlich berührt, fesselt und in Spannung versetzt, zumindest nicht langweilt – die meisten jedenfalls.

Denn, erstens, geht es darin um einen nicht alltäglichen Konflikt zwischen Menschen, die einander lieben: zwei Frauen und ein Mann, die sich schließlich gezwungen fühlen, über den eigenen Schatten zu springen. Aber auch den wenigen anderen Personen im Roman macht es das Leben nicht leicht, sich von altem Schmerz zu befreien.

Zweitens spielt der Roman in einem Land, das auf viele Menschen einen eigenartigen Reiz ausübt. Der Autor hat Irland erstmals vor gut vierzig Jahren kennengelernt und seither oft bereist. Auch den Teil der Grünen Insel, der zum Vereinigten Königreich gehört.

Drittens werden Männer, die Geschichten und Geschichte lieben, einiges über starke deutsche, irische und spanische Frauen erfahren – und Frauen werden sich im Kreis von Anja, Raquel, Ute, Maud, Lola, Edwina und Constance wohlfühlen, bestimmt aber so was wie schwesterliche Verbundenheit empfinden.

Viertens entführt der Roman seine Leserinnen und Leser in eine Welt, die zwar nicht eigentlich exotisch ist, doch verlässlich verzaubert: Mit grandioser Landschaft zum einen, aber auch mit Menschen besonderer Art.

Fünftens lässt sich aus meinem Roman, im Kleinen, auch etwas lernen, das über die Beziehungsthematik hinausgeht – über irische Geschichte wie auch über Astronomie, Big Bang inklusive.

Herzlichen Dank! Für alle Interessierten: Hier geht es zur Bestellung von Irish Blues.

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