Kulturmagazin bespricht „Unruhe“

Die Autorin Anne-Kathrin Reif schrieb für das Kulturmagazin DIE BESTE ZEIT eine Kritik zu „Unruhe“. Hier lesen Sie den ganzen Artikel:

Eine unzeitgemäße Frau Christiane Gibiec schreibt packend über das Leben, Lieben und Dichten der Annette von Droste-Hülshoff

Annette von Droste-Hülshoff. Adlige Dichterin aus dem Münsterland, geboren 1797 auf Schloss Hülshoff in Havixbeck bei Münster, gestorben 1848 in Meersburg am Boden­see. Eine der ganz wenigen dichtenden Frauen, die auch schon zu Lebzeiten Erfolg hatten und die bis heute zu den ‚Klassikern‘ der deutschsprachigen Literatur zählt. Zumindest für die etwas älteren Leserinnen und Leser zählten ihr Roman ‚Die Judenbuche‘ oder Balladen wie ‚Der Knabe im Moor‘ noch zur schulischen Pflichtlektüre. So weit, so trocken. Vermutlich kommt gerade kaum einer auf die Idee, er müsse dringend die Lektüre ihrer Werke nach­holen. Das könnte sich ändern, nachdem man Christiane Gibiec‘ biografischen Roman ‚Unruhe. Unsere Sehnsucht nennt man Wahn und Traum‘ verschlungen hat. Denn verschlingen wird man ihn, so ungemein farbig und lebendig schildert die Wuppertaler Autorin ‚Nettes‘ Leben von der Kindheit im Münsterland bis zum frühen Tod am Bo­densee, wo sie sich unweit der Meersburg ein Refugium im Weinberg geschaffen hatte, erworben von selbst verdienten Autorenhonoraren.

Seit frühester Kindheit von heftigen Kopfschmerzen ge­plagt, ein Leben lang mit höchst labiler Gesundheit und dünnem Nervenkostüm ausgestattet, häufig unspezifisch leidend – auf der anderen Seite schon als Kind ein Wildfang und Liebling ihres früh verstorbenen Vaters Clemens August. Ein lebenslustiger, selbstbewusster Backfisch, als junge Frau ein die Konventionen der Zeit sprengender Freigeist, als schließlich weithin anerkannte Autorin eine literarische Autorität. Und dennoch als unverheiratetes Fräulein lebenslang unter Aufsicht und Kuratel der herrischen Mutter und anderer Verwandtschaft. Und vor allem: eine ebenso leiden­schaftlich wie unglücklich Liebende. Diese Liebesgeschich­ten stehen im Zentrum des Romans von Christiane Gibiec – vor allem die ‚Affäre Straube‘, bei der die Verwandtschaft die unstandesgemäße Liebe zu dem bürgerlichen Studenten Heinrich Straube intrigant hintertreibt und Annette mit diesem Verlust der ersten Liebe eine lebenslang schmer­zende Wunde zufügt. Und schließlich die platonisch blei­bende, aber nicht weniger leidenschaftliche Verbindung mit dem 16 Jahre jüngeren Levin Schücking, die ebenfalls in einem Fiasko endet.

Das alles ist emotional packend geschildert – aber was den Roman von Gibiec über vergleichbare Literatur des Genres ‚Ein Frauenleben‘ heraushebt, ist die scheinbare Leichtigkeit, mit der die Autorin daneben das Panorama einer ganzen Epoche auffächert. Nettes Onkel Werner und August zählen neben den Brüdern Grimm auch Clemens Brentano, Friedrich Schlegel, Achim von Arnim und Heinrich Heine zu ihren Kreisen, denen Annette mit erfrischender Respektlosigkeit begegnet. Die persönlichen Dramen der Droste stehen nicht losgelöst im Raum, sondern vor dem Hintergrund der Zeitgeschichte, in der Napoleon eine blutige Spur durch Europa zieht, die Völkerschlacht bei Leipzig tobt und nach Abzug der Franzosen die Kosaken auf dem Münsterplatz kampieren; schließlich der Vormärz 1848 mit seinen revolutionären Bestrebungen, als überall die Bürger auf die Straße gehen und der französische König Louis Philippe in Paris vom Thron gejagt wird. Und darin immer wieder das trotz allem über weite Strecken noch sorglos erscheinende Leben des Adels: Bälle, Feu­erwerke, Festessen, Konzerte, Opern- und Theateraufführungen, Soireen, Landpartien, wochenlange Besuche bei der Verwandtschaft von Burg zu Burg, wahlweise Schloss oder Gut. Aber noch das schönste Ballkleid wird zur Zwangsjacke, wenn es eine junge Frau daran hindert, selbstbestimmt nach ihren Talenten und Neigungen zu leben und zu lieben – das macht Christiane Gibiec mit ihrem einfühlsamen Por­trät der Dichterin geradezu körperlich spürbar. Man taucht in dieses Buch ein wie in einen packenden, üppig ausgestatteten und profund recherchierten Historienfilm, der keine Minute langweile. Und fragt danach in der Buchhandlung vielleicht nach einem Gedichtband der Droste oder nach der ‚Judenbuche‘ …“

– Anne-Kathrin Reif, DIE BESTE ZEIT

Wer “Unruhe” noch nicht gelesen hat, kann den Roman hier bestellen.

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