Feedback zu Michael Zellers “Abhauen!”

“‚Abhauen!‘ ist ein kleines, feines Literatur-Juwel aus dem neu gegründeten Rote Katze Verlag in Lübeck. Lesen!” – Britta Röder (Autorin)

Die Rezension von Britta Röder zu Michael Zellers Erzählung “Abhauen! Protokoll einer Flucht” können Sie auch hier nachlesen.

Protokoll eines Abschieds

Dass Zeller trotz der Schwere seines Themas ein so leicht zu lesendes Buch gelungen ist, ist große Sprachkunst und die erste Überraschung, mit der er mich als Leserin überzeugt. Denn es geht in der 120 Seiten umfassenden Erzählung um eine sehr schmerzhafte autobiografische Episode: Der Abschied von der Mutter, der sich über zwei Jahre hinzieht. Das Beobachten ihres langsamen körperlichen und geistigen Verfalls. Ihr unaufhaltsamer Verlust an Individualität. Das Ringen um Würde. Die Unabwendbarkeit des Todes.

Die zweite Überraschung, mit der mich Zeller vereinnahmt, liegt in der Tiefe seiner Darstellung. Mit Hilfe seines differenzierten Stils geht er weit über jedes Beschreiben hinaus. Er erzeugt eine Emotionalität und ein Beteiligt-sein, mit dem er direkt das persönliche Erinnerungszentrum seiner Leserschaft anzapft. Denn jeder von uns ist Kind und mit dem Erwachsenwerden werden Eltern alt. Abhängigkeiten und Verpflichtungen kehren sich um. Ein Prozess, der allgegenwärtig ist, aber in der Öffentlichkeit unserer Gesellschaft kaum stattfindet.

Das Einzelschicksal der Mutter entlarvt die Schwächen des Systems. Zeller zeigt, wie lückenhaft die Versorgung alter Menschen organisiert ist. Wie wenig unsere Gesellschaft darauf vorbereitet ist, die Würde der Alten während ihrer letzten Lebensphase zu wahren und die Angehörigen zu unterstützen.

Auch den privaten Teil seiner Geschichte erzählt Zeller ungeschönt. Er schreckt nicht davor zurück, Gedanken zu äußern, die ihn vielleicht in keinem guten Licht als Sohn erscheinen lassen. Auch die Mutter wird nicht idealisiert. Doch gerade durch solche Ehrlichkeit öffnet er seiner Leserschaft einen Raum für Trost. Beziehungen verändern sich nicht zum Guten, nur weil jemand bald stirbt. Emotionen jedweder Art gehören dazu.

In der Erzählung verändert sich die Mutter durch ihre Demenz. Für den Sohn, der zeitlebens unter der schwierigen Beziehung zur Mutter gelitten hat, tritt Erleichterung ein. Frühere Konflikte verlieren an Gewicht. Es entsteht eine neue Form der Vertrautheit und Nähe. Im langsamen Sterben der Mutter liegt für den Sohn eine Chance auf Frieden und Versöhnung. In diesem Sinne verbindet der Autor mit dem sehr privaten Erlebnisbericht eine ebenso positive wie öffentliche Botschaft. Das Teilhaben am Sterben wird zu einer Bereicherung, einer Erfahrung, die einen dem Leben zuwendet.

Nicht ganz verständlich bei dieser meisterhaft erzählten Geschichte blieb für mich persönlich der Titel: Abhauen! Protokoll einer Flucht. Weder das langsame Sterben der Mutter noch das Agieren des Sohnes habe ich als eine Flucht, als ein aktives Weggehen, interpretieren können. Auch das Cover hat mich anfangs eher in die Irre geführt. Zu viel Tod für diese lebensnahe und lebensbejahende Erzählung.

Fazit: Nicht vom Thema abschrecken oder vom Titel oder Cover täuschen lassen. Abhauen! ist ein kleines feines Literatur-Juwel aus dem neugründeten Rote Katze Verlag in Lübeck. Lesen!”

– von Britta Röder (Autorin)

Wer “Abhauen!” noch nicht gelesen hat, kann die Erzählung hier bestellen.

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