Christiane Gibiec im Interview

Liebe Frau Gibiec, verraten Sie uns doch erst einmal mehr über sich und Ihren Werdegang als Schreibende.

Schreiben wollte ich schon in meiner Kindheit. Ich liebte es, an Sonntagnachmittagen bei meinem Vater am Schreibtisch zu sitzen, wenn er Fachartikel für eine landwirtschaftliche Zeitung in seine kleine, schwarze Schreibmaschine hackte. Das Auf- und Absausen der Buchstaben, das Klackern der Maschine war Musik in meinen Ohren. Ich beneidete meinen Vater um die Konzentration, mit der er stundenlang da sitzen und Texte produzieren konnte.

Zuerst bin ich Journalistin geworden, diese Arbeit hat mein Handwerk geschärft und mich lange ernährt. Richtig angefangen literarisch  schreiben habe ich erst mit etwa vierzig, als meine beiden Kinder aus dem Gröbsten heraus waren. Seitdem habe ich nicht mehr aufgehört. Bis jetzt sind es zwölf Bücher geworden, darunter der historische Kriminalroman und Bestseller „Türkischrot“, ein Kinderbuch und mehrere Sachbücher. Auch Filme habe ich gemacht, darunter einen über die weltberühmte Choreografin aus Wuppertal Pina Bausch. Aber meine Liebe gehört dem Roman, in den letzten Jahren vor allem dem biografischen Roman. Mich fasziniert es, aus Briefen und Zeitdokumenten ein Künstlerinnenleben zu rekonstruieren und die Leerstellen mit meiner Fantasie zu füllen.

Das Schreiben habe ich noch auf andere Weise zu meinem Beruf gemacht: Ich unterrichte die Methoden des Creative Wrtiting – ein amerikanisches schreibpädagogischen Konzept – als Lehrbeauftragte an der Bergischen Universität in Wuppertal. Hier vermittele ich vor allem Ingenieur-Studierenden, dass Schreiben einfach sein und großen Spaß machen kann, wie man Schreibprojekte plant und überarbeitet.

Ihr neuer Roman Unruhe hat Annette von Droste-Hülshoff zur Protagonistin. Wie kam es dazu?

Finden wir AutorInnen die Stoffe oder finden sie uns? Ich habe oft den Eindruck, dass letzteres der Fall ist. Annette von Droste-Hülshoff wurde mir von einer Freundin ans Herz gelegt, als ich eine längere Krankheit durchstehen musste und dringend nach einem Stoff suchte, um mich zu beschäftigen. Ich las einige Biografien über die weltbekannte Lyrikerin und Autorin und war sofort vom Annette-Fieber gepackt. Von ihren großartigen, flammenden Dichtungen, ihrer Sprachkunst, ihrer Eigenwilligkeit. Von ihrer Identitäts- und Freiheitssuche als unkonventionelle, manchmal verrückte Frau und als Künstlerin, die von der sie umgebenden konservativen Verwandtschaft im Umfeld des münsterländischen Adels immer wieder gedemütigt und in ihre Schranken verwiesen wurde.

Annette hatte in ihrem Leben zwei Liebesbeziehungen, die man auch als Spiegel ihrer Beschränkungen lesen kann. Ihre erste Jugendliebe galt dem mittellosen bürgerlichen Studenten Heinrich Straube und wurde von den Verwandten auf übelste Weise hintertrieben. Die zweite Liebe erlebte sie als fast Vierzigjährige zu dem sechzehn Jahre jüngeren Levin Schücking – ebenfalls eine Geschichte, die mit Verlust und Demütigungen endete. Diese Ereignisse mit all ihren menschlichen und erotischen Verstrickungen in einem farbigen Roman zu erzählen hat mich gereizt.

“Unruhe” ist ein biografischer Roman und hat gewiss viel Recherche benötigt. Erinnern Sie sich noch an diesen Prozess?

Biografische Romane über Dichterinnen zu schreiben – neben Annette von Droste-Hülshoff habe ich auch über Else Lasker-Schüler geschrieben – mag an meiner Neugier liegen, wie diese Frauen gestrickt waren und wie es ihnen gelungen ist, ein weit über ihre Zeit hinaus strahlendes Werk zu schaffen. Manche ihrer Probleme habe ich wiedererkannt: Das jahrelange Warten auf den Erfolg, die mühsame Verlagssuche, das Unverständnis vieler Zeitgenossen – da ging es diesen berühmten Protagonistinnen nicht anders als mir und den meisten meiner schreibenden KollegInnen heutzutage.

Die reizvollste Quelle bei einer solchen Recherche sind zweifellos die Briefe, die damals noch reichlich geschrieben wurden. Sie erzählen ungefiltert vom Alltag, von Freuden und Leiden, Ängsten und Sehnsüchten, vom Leben und Sterben in der jeweiligen historischen Epoche. Und sie lassen immer wieder dankbar innehalten, dass wir heute in einer Gesellschaft mit moderner, hochgerüsteter medizinischer Versorgung, Sozialsystemen, einem breiten Bildungsangebot leben.

Ein schönes, unbedingt nachahmenswertes Erlebnis war der Besuch im gut erhaltenen Schloss Hülshoff in Havixbeck bei Münster, wo Annette aufgewachsen ist,  und im nahegelegenen Rüschhaus mit seiner wundervollen, ländlich-barocken Architektur, wo die Dichterin nach dem Tod des Vaters mit Mutter und Schwester lebte. Ebenso war ich im idyllischen Bökendorf, um mir die dortigen Schauplätze anzusehen.

Beeindruckt hat mich auch, von dem Homöopathen von Bönninghausen zu erfahren, einem Onkel Annettes, der die Kunst der Homöopathie bei ihrem Entdecker Samuel Hahnemann gelernt hatte. Die empfindliche und gesundheitlich oft angeschlagene Dichterin reagierte ausgesprochen positiv auf die Mittel und Anwendungen, die von Bönninghausen ihr verordnete.

Haben Sie ein Lieblingszitat aus “Unruhe”?

Hier darf ich auf Seite 78/79 verweisen:

Es war wie ein zusätzlicher Blitzschlag, als sie plötzlich Arnswaldt hinter sich spürte. Ohne nachzudenken lehnte sie ihren Rücken gegen ihn und spürte, wie er ihre Flechten im Nacken zur Seite schob, dann seine Lippen auf ihrem Hals. Ihr Körper vibrierte und schrie nach ihm.

Onkel August kam in den Flur, schnell trat sie einen Schritt zur Seite.

„Wir machen heute ein Hauskonzert,“ brummte August, „Friedrich stimmt schon die Gitarre. Sobald es sich ausgedonnert hat und wir gegessen haben, fangen wir an. Nette, was ist mit dir, wirst du auch einen Beitrag leisten?“

„Der Barbier von Sevilla,“ sagte sie schnell und sah Arnswaldt provozierend an, „ich mache die Rosina. Und einen Grafen haben wir ja auch, will er mein Almaviva sein?“ …

Dein Almaviva und noch mehr!“ Er keuchte es fast und drang gegen sie, bis sie ihn mit den Händen zurückschob und ernst ansah.

„Ich möchte, dass er mir seine Gefühle entdeckt, Arnswaldt, ich bin mir nicht sicher, ob er wirklich mich meint oder ob er nur … na ja… sagen wir mal einen Ausweg für seine Brünstigkeit braucht?“

Wem empfehlen Sie, Unruhe zu lesen?

  • Jemand, der ungewöhnliche, bunte Liebes- und Familiengeschichten mag.
  • Jemand, der gerne in die Geschichte und in Geschichten eintaucht und wissen möchte, wie der Adel mit seinen Privilegien im 18. und 19. Jahrhundert lebte.
  • Jemand, der sich für die Biografie einer Dichterin interessiert, die auch nach 200 Jahren noch zu den weltweit bedeutendsten Lyrikerinnen zählt.
  • Jemand der Freude daran hat, eine mutige und eigensinnige Protagonistin kennenzulernen, die sich gegen die Maßstäbe ihrer Zeit auflehnte und ohne Rücksicht auf den Zeitgeist Tabus brach.
  • Jemand, der starke Frauen mag . Gerade an ihren Lebens- und Liebesgeschichten kann man die seit Jahrhunderten währende Unterdrückung der Frauen zeigen.

Vielen Dank! Falls Sie, liebe Leserinnen und Leser, Unruhe noch nicht gelesen haben, geht es hier zum Webshop.

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