Interview mit Michael Zeller

Es ist soweit! Michael Zellers Roman „ABHAUEN! Protokoll einer Flucht“ ist im Rote Katze Verlag erhältlich. Passend dazu hat Christiane Gibiec (Autorin aus unserem Herbstprogramm) ein Interview mit ihm geführt, in dem beide über Zellers Werk über die letzten Lebensjahre seiner Mutter sprechen.

C.G.: Wie kam es zu der intensiven Beschäftigung mit dem Altwerden und dem Verlust der Mutter?

M.Z.: Dieser absteigende Weg in den Tod hat mich beschäftigt. Als es mit meiner Mutter in die letzte Phase ging, bin ich regelmäßig zu ihr nach Bad Homburg gefahren, zuerst noch in die Wohnung, dann ins Heim, das war auch eine Rückkehr in meine Kindheit und Erinnerungen an meine Schulzeit. Das kleine Bad Homburg mit seiner feudalen Vergangenheit hat mich weitgehend geprägt. In den letzten zwei Jahren war ich regelmäßig alle paar Wochen bei meiner Mutter und konnte Monat für Monat sehen, wie sich die Dinge entwickelten.

C.G.: Du hast es also schon während dieser Zeit aufgeschrieben?

M.Z.: Ja, ich habe mein ganzes Leben lang Tagebuch geführt, bereits als Schüler, und ich weiß, wie Erinnerungen verfälschen. Wenn ich heute erzähle, was ich vor einem Monat erlebt habe, ist es schon falsch. Ich muss sofort alles aufschreiben, damit es authentisch ist. Das Gedächtnis fängt schon nach zwei Tagen an zu schummeln. Also, wenn ich zu meiner Mutter gefahren bin, habe ich es am nächsten Tag gleich protokolliert.

C.G.: Wie werden solche Protokolle dann zu Literatur, kannst du das beschreiben?

M.Z.: Nachdem ich es festgehalten habe, fängt die Arbeit an, das kann dann auch erst sehr viel später sein. Das ist dann am Schreibtisch Hocken, da brauche ich den Gegenstand nicht mehr, da wird dann gehobelt und gefeilt.

C.G.: Verselbständigt sich ein solcher Text dann auch?

M.Z.: Das sind die schönsten Momente, wenn es wegläuft und du hinterherlaufen musst. Bei diesem Text aber wollte ich den Abbauprozess eines Menschen beschreiben, dieses Wegsinken in einen Dämmerzustand, das musste genau sein. Das Wissen darum, dass man nicht mehr die ist, die man mal war, hat bis zu ihrem letzten Atemzug gespürt. Dass das meine Mutter war, stand nicht so im Vordergrund, ich wollte das Gehen eines Menschen beschreiben, wie ich es beobachtet habe. Deshalb ist auch viel Humor darin, es gab viele sehr lustige Situationen, wir haben oft zusammen gelacht.

C.G.: Wie wichtig ist der autobiografische Prozess für dich? Es gibt ja auch einen Text zu deinem Bruder.

M.Z.: Bei mir ist es so, dass ich fast keine Familie mehr habe, die sind alle im Krieg gefallen, mein Vater, meine Onkel, keiner hat den Krieg überlebt. Nur meine Mutter und meine beiden Brüder sind dem Schlamassel entkommen. Deshalb ist die Familie ein imaginärer Raum, den ich mir so langsam erobert habe, und ich denke, das ist der Grund, weshalb ich Schriftsteller geworden bin. In meinem Buch über die Ukraine schreibe ich auch über meinen Onkel, der in Charkiw gefallen ist, ein Jahr vor meiner Geburt. Aber es ist mein Onkel, der jüngste Bruder meines Vaters. Da hat mich interessiert, was für ein Mensch dieser deutsche Soldat gewesen ist.

C.G.: Kann man durch Schreiben solche Erfahrungen bewältigen?

M.Z.: Ja, das hilft sicher bei der Verarbeitung. Unsere ganze Generation ist ja davon geprägt, auch von den Schuldgefühlen, die mit der deutschen Vergangenheit zu tun haben.

C.G.: Ist das Altern auch ein Zurückwandern in die Kindheit? Das machen ja viele Leute, auch Schriftsteller, im Alter.

M.Z.: Ja sicher, die Kindheit kommt dir doch immer näher. Vieles, was im Erwachsenenleben passiert ist, weiß man gar nicht mehr so genau, aber aus meiner Kindheit könnte ich vieles malen, so deutlich steht es mir vor Augen. Die Kindheit und Jugend ist, als wäre sie in Bernstein eingefasst und fest geworden, das kann ich nicht wegwischen. Ich habe mit diesem Schreiben viel abgearbeitet, meinen verstorbenen Bruder, der sich umgebracht hat, auch den Vater, den ich nicht kennengelernt habe. Er war nicht gefallen, sondern vermisst, und das war für meine älteren Brüder, die ihn noch kannten, aber auch für meine Mutter ganz schlimm. Sie hofften lange, dass er wieder käme.

C.G.: Wie überrascht warst du, als plötzlich ein Verlagsangebot auf dem Tisch lag?

M.Z.: Das war natürlich sehr schön, kaum zu glauben. Normalerweise laufen wir Autoren ja immer hinter den Verlegern her und drängen sie, unsere Sachen anzunehmen. Wenn es mal umgekehrt ist, umso besser.

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