Michael Zeller über „Abhauen!“

„Abhauen! Protokoll einer Flucht“ ist bei uns im März erschienen. In diesem Blogpost verrät Michael Zeller mehr über sein Werk.

Was hat es mit dem Titel auf sich?

Abhauen ist ja eher ein roher Begriff, strahlt vielleicht sogar etwas Gewaltsam-Aggressives aus. Dabei stellt man sich einen vitalen jungen Menschen vor, und nicht eine zerbrechliche zarte alte Frau. Da hat das Wort Abhauen vielleicht sogar einen leicht komischen Klang. Doch von meiner Mutter habe ich das Wort im Alter immer wieder gehört, wenn sie sich in die Enge getrieben fühlte. Erst recht natürlich dann, als es um die letzte Enge ging, aus der es kein Entweichen mehr gab – den Tod. Da will man doch nur noch abhauen.  

Welche Rolle spielt der Ort der Handlung?

Eine sehr positive. Mit dem Ort der Handlung habe ich großes Glück gehabt. Mehr noch: es war fast ein Geschenk des Lebens. Als es sich abzeichnete, daß es mit meiner Mutter zu Ende gehen würde, kam ich sie regelmäßig in kurzen Abständen  besuchen, von meinem damaligen Wohnort aus. Mutter hatte ihr halbes Leben in Bad Homburg verbracht, deshalb war der Sterbeort der Mutter gleichzeitig die Rückkehr in meine Jugend.  Neun Jahre lang habe ich dort die Oberschule besucht, bis zum Abitur. Ein Schriftsteller hätte diese spannungsreiche Konstellation nicht besser erfinden können. Es war aber keine Erfindung, es war – wie gesagt – ein Geschenk des Lebens. 

Mein Lieblingszitat aus dem Buch

“Heute blieb ich länger als üblich. Es war zu spüren, wie Mutters Gedankeneis auftaute, sich im Gespräch verflüssigte und allmählich wieder klarere Vorstellungen sich in ihr lösten. So klagte sie darüber, dass es mit ihrem Kopf nichts mehr sei. Sie wisse das ganz genau, und das sei schrecklich.

Ob sie denn nicht doch noch Spaß am Leben finde, fragte ich.

»Wenn ich nicht mehr leben will, dann stirbt man auch bald«, wich sie mir aus. Ihre Stimme so neutral, als habe es nichts mit ihr zu tun.

»Willst du denn sterben?«

»Nee. Du?«

Die Schlagfertigkeit und der Witz der alten Dame hat mich immer wieder gepackt, bei aller Traurigkeit.

Erinnerung an Schreibprozess

Die Besuche in der letzten Zeit bei meiner Mutter habe ich sofort schriftlich festgehalten, spätestens am nächsten Tag, ausführlich und genau. Die Eindrücke müssen frisch festgehalten werden – al fresco, wie die Maler sagen. Diese Protokolle habe ich dann lange Jahre ruhen lassen. Als ich sie hervorholte, um daraus vielleicht ein Buch zu machen, habe ich mir gesagt: Wenn du dich dabei quälst, dann laß es sein. Aber das war durchaus nicht der Fall. Ich war dann baff, wie viel Spaß mir die Arbeit gemacht hat – trotz allem. Ich hoffe sehr, daß auch die Leserschaft das spürt.

Mein Wunsch für den Leser

Den Abschied eines nahen Menschen mitzuerleben, ist ein schmerzvoller Prozess, und es ist sehr menschlich, dass wir uns davor lieber drücken wollen. Ich kann nur davon berichten, dass mir die letzten Besuche bei der Mutter jedesmal gut getan haben, und auch die Erinnerung danach, bei der literarischen Arbeit. Wie viel ich dabei über uns Menschen lernen konnte! Und nicht zuletzt ist dadurch meine Angst vor dem eigenen Tod geringer geworden. Jetzt weiß ich es: Die Natur hat auch für die letzte Phase des Lebens erstaunlich gut vorgesorgt. Diese Zuversicht, hoffe ich, kann eine Leserschaft aus diesem Buch mitnehmen.

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