Martin Hagemeyer hat für die Westdeutsche Zeitung einen Artikel über „Unruhe“ von Christiane Gibiec verfasst. Hier geht es zum Artikel, dessen Inhalt Sie auch im Folgenden lesen können:
Droste-Hülshoff als Frau aus Fleisch und Blut
„Ich vermag einen ordentlichen Vers zu schmieden. Vielleicht möchte er auf unserem Spaziergang eine meiner Balladen hören?“ Selbstbewusst und kontaktfroh erscheint hier eine Frau, von der das wohl nicht jeder erwartet: Annette von Droste-Hülshoff. Der berühmten Dichterin widmet Christiane Giebiec ihren neuen Roman „Unruhe“: Ein prägnantes und erfrischendes Porträt.
Als sprunghaft und mutwillig zeichnet die Wuppertaler Schriftstellerin (Werke: „Türkischrot“, „Else blau“) die adlige Westfälin schon als Kind, wenn „Nette“ mit Freundinnen durch den Schlamm tobt. Das ist eine Lesart, der sie treu bleibt – ob nun das Leben in Münster in Rüschhaus und Burg Hülshoff geschildert wird oder am Bodensee. Und das weicht spannend ab vom Muster eines blassen Fräuleins im einsamen Turm – so hat es mancher von der Verfasserin der Novelle und Schullektüre „Die Judenbuche“ sicher im Sinn.
Freilich: Dass die intelligente Poetin von kränklichem Naturell und nervenleidend war, sieht auch der Roman klar (Untertitel: „Unsre Sehnsucht nennt man Wahn und Traum“ – ein Gedichtzitat). Auch ihr Hang zum Mystischen mit Visionen und Ahnungen durchzieht den Roman als typisches Merkmal „der Droste“, wie sie in späteren Jahren genannt wird.
Im Verhältnis zum anderen Geschlecht wird aus der Unruhe merklich heitere Ungebundenheit: Freudlos oder allzu sittenstreng ist die Baronin bei Gibiec in Liebesdingen nicht. Ihre Annäherung an den Jurastudenten Heinrich Straube liest sich lebendig: „Sie schüttelte die Mähne, die hin- und herschwang, sah den sanften Schmerz in seinen Augen, der ihr so gefiel.“
Dass sie parallel mit einem Kaufmannssohn „spazieren geht“ (von dort das Eingangszitat), wird der Beziehung im Roman zum Verhängnis – die Verwandtschaft um die missgünstige Tante Anna wittert „Unschicklichkeit“ und treibt beide auseinander.
Interessant: Eng mit der Liebe verzahnt ist bei Gibiec auch Drostes literarisches Schaffen. Die Entstehung der „Judenbuche“ geht hier Hand in Hand mit ihrem späteren Verhältnis mit Levin Schücking: Der sechzehn Jahre jüngere Charmeur kommt nicht zuletzt als Inspiration daher. „Levins Anregungen sind Spornstiche, die der Reiter in die Flanken seines Pferdes stößt, ihr Talent steigt und stirbt mit seiner Liebe.“
Hier wirkt die Droste nicht bloß romantisch, sondern vernarrt bis zur Realitätsverleugnung: Zur Verwunderung des Lesers nennt der junge Mann sie ständig „Moderken“ („Mütterchen“) – spricht daraus nur Scherz oder doch Distanz? Nur die Dichterin selbst, sonst für ihre Klugheit bekannt wie auch gefürchtet, fragt sich das offensichtlich nicht. Am Ende heiratet Schücking eine Jüngere.
Traditionelles Rollendenken als frauenfeindliches Klischee
Gibiec unternimmt zwar nicht den Versuch, ein komplett modernes Gegenbild der Klassikerin zu malen. Das wäre auch unpassend, weil die Baronin politisch eher konservativ dachte. Modern ist dieser Blick auf die Droste aber nicht zuletzt darin, dass er traditionelles Rollendenken als frauenfeindliches Klischee markiert: Sie habe „keinen Mann gefunden und sich statt dessen Apollo und den Musen in die Arme geworfen“, wird in dem Roman geraunt, für den Gibiec mit verschiedenen Quellen gearbeitet und auch Briefe im Wortlaut eingebaut hat. Geäußert wird dieses Stereotyp ausgerechnet von ihrem betagten, bald achtzigjährigen Schwager. Als Eindruck klingt an: Altbacken war das schon damals.
Historisch getreu und doch heutig: Gibiecs Roman „Unruhe“ verschiebt den Akzent weg von der überfeinerten Matrone auf der Meersburg – und zeigt die Droste als Frau aus Fleisch und Blut.“